
Putins geopolitische Strategie ist zwar undurchsichtig, aber dennoch sehr effektiv. Diese Analyse versucht einen Einblick in das Wirken des russischen Präsidenten zu geben und die Hintergründe seines Handelns zu erklären.
Von Thomas Roth
Die Anhänger sind sich sicher, die Fantasten träumen davon, die ewig Enttäuschten halten die Hoffnung aufrecht… Putin hat einen großen Plan. Und wenn der Moment gekommen ist dann regelt er alles. Am besten mit Raketen. Auch hier liest man oft Kommentare, in denen die Hoffnung ausgedrückt wird: Mensch Putin, schick endlich die Armee. Allerdings ist jetzt der Moment gekommen, an dem die Mehrheit derer, die sich für den so genannten „Schlauen Plan Putins“ interessieren, überhaupt nichts mehr versteht und sich nur noch im Zustand der völligen Orientierungslosigkeit befindet. Mir geht es auch oft so.
Die plötzliche Intensivierung der Freundschaft mit China, die Teilnahme der Armee am Kampf auf dem syrischen Territorium und der schier endlose Strom der Gäste in den langen Hemden mit dem Tuch auf dem Kopf, die sehr persönliche Reaktion Putins auf den Schlag in den Rücken seitens der Türkei, die das Militärflugzeug abschossen, die vielen diplomatischen Aktivitäten bis hin zum Besuch von John Kerry. Das alles hat sich zu so einem engen Knäuel verbunden, dass es nicht einfach wird, es wieder zu entwirren und logische Erklärungen für diese Ereigniskette zu finden. Aber zuversichtlich, wie wir nun mal sind, werden wir den Versuch unternehmen, es zu machen. Wobei wir nicht nur das Wesen der Geschehnisse verstehen, sondern auch Schlussfolgerungen ziehen wollen, um zu versuchen, die weitere Entwicklung der Ereignisse zu prognostizieren.
Aber zunächst einige Worte zur Erklärung von zwei Mythen. Denn gerade in Verbindung damit können Irrtümer entstehen, die es ermöglichen, unexakte Vorstellung von der vorhandenen Lage zu entwickeln. Und dann hat man von Beginn an grundsätzliche Fehler in der Argumentationskette und man verirrt sich insgesamt in der Situation.
Der erste Mythos: Russland, oder Länder generell, haben Freunde oder Feinde.
Weder Russland noch ein x-beliebiges anderes Land haben Freunde oder Feinde, weil es auf außenpolitischem Gebiet grundsätzlich keine Länder gibt. Sie sind verwundert? Sie glauben das nicht? Kein Grund sich zu wundern. Es gibt nur die Politik- und Wirtschaftseliten, deren Einflusssphären auf diesem oder jenem Territorium existieren. Nicht mehr und nicht weniger. Wobei ich dabei die Eliten in zwei Abteilungen einteilen und die dann auch noch in zwei Unterabteilungen trennen muss. Die, deren Lösungsgedanken in die Realität umgesetzt werden können und die, deren Lösungen bis jetzt unwichtig sind. D.h., die Einen haben einen Erfolg erzielt und träumen davon, ihn zu bewahren und die Anderen streben noch nach dem Erfolg und träumen davon, ihn den Ersteren abzujagen.
Fragen Sie sich jetzt „und was ist mit dem Volk?“, tja, was ist damit. Wenn die Interessen der Eliten mit den Interessen des Volkes übereinstimmen, dann kann man sagen – Glück gehabt. Wenn sie nicht übereinstimmen, dann leidet das Volk, aber auf keinen Fall die Elite.
Das vorliegende Modell gilt ausnahmslos in allen Ländern. Die Politik und die Wirtschaft können keine Feinde oder Freunde haben. Es gelten Interessen, die können übereinstimmen oder aber auch nicht. Davon ausgehend, werden alle Beziehungen auf der internationalen Arena aufgebaut. Uns einfachen Leuten ist das alles egal, wir teilen trotzdem in Freund und Feind des Landes ein. Man muss sich wohl auch nicht über die existierende Weltordnung aufregen. Sie ist so wie sie ist.
Der zweite Mythos: Die Vereinigten Staaten von Amerika wollen Russland besiegen und vernichten.
Das ist nun wirklich unglaublich dumm. Warum muss man denn etwas besiegen was schon seit langem besiegt ist. Die amerikanische Wirtschaft ist seit den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf Druckmaschinen für Dollars aufgebaut. Aber darüber werden wir noch detailliert reden. Also, die Wirtschaftselite der USA, die die Druckmaschinen unter Kontrolle hält, hat die Möglichkeit, Dollar zu drucken und damit alles das zu kaufen, was Russland, wie auch immer produziert oder auch einfach nur besitzt.
Wir werden es an einem einfachen Beispiel nachvollziehen. Sie haben einen Drucker, auf dem Sie gewisse Kupons drucken können und Sie haben einen Nachbarn, der etwas auf seinem Grundstück anbaut und bereit ist, Ihnen das Produkt für diese Kupons zu überlassen. Warum sollen Sie dann los gehen und den Garten erobern? Warum sollten Sie das riskieren? Erstens könnten Sie von ihm mit der Schaufel auf die Nase bekommen, zweitens könnte er Sie auch damit umbringen. Das muss also nicht sein. Freilich geht das Ganze nur unter einer Bedingung – der Drucker muss arbeiten. Und so haben wir Krieg des Handels, einen Handelskrieg.
Wir leben in einer komplizierten Epoche. In der Epoche eines globalen Krieges. Nur wird uns dieser Krieg entweder wie ein ideologischer (wegen der Religionen) oder wie ein Rohstoffkrieg (wegen des Erdöls) dargebracht. Die Religion und das Erdöl sind einfach nur der Wandschirm für die Spießbürger und dienen gleichzeitig als Führungsinstrument des Krieges, des gegenwärtigen Handelskrieges, des Krieges um die Handelsmärkte.
Seit 10 Jahren versuchen in Russland die liberal gestimmten Genossen zu beweisen, dass ihre Lieblingsregierung auf keinen Fall von der Erdölnadel runterkommen will. Ja wohin wollen sie denn von der Nadel runtersteigen? Auf die Spitzentechnologien? Im Fieberwahn vielleicht.
Sind sie überhaupt auf dem Laufenden, was die Entwicklung und die Einführung in die Produktion, zum Beispiel, der Prozessoren von Computern betrifft, deren ursprüngliche Bestellung mindestens fünf Millionen Stück betrug? Und wohin und wem wollen sie diese Millionen verkaufen? Sind sie im Kurs, was die Entwicklung eines beliebigen Hochtechnologieprojektes nicht nur als Produktionskomponente, sondern auch für den Absatzmarkt erfordert? Und dann kommt noch dazu, dass Russland auf diesen Märkten Niemanden zu sehen wünscht. Russland ist für die real existierende Weltwirtschaft nur als Rohstoffbesitzer und als Konsument notwendig.
Die Kontrolle über die Handelsmärkte der Weltwirtschaft zu haben, bedeutet nicht nur Gewinn für den Handel. Es ist gleichzeitig die Möglichkeit, auf die Entscheidungen der Wirtschaftselite Einfluss auszuüben. Darin liegen die Hauptmöglichkeiten für die Entwicklung. Es ist nicht einfach, einen Vorteil auf diesem Markt zu erzielen und noch schwerer, uneingeschränkt in dieser Welt die Macht auszuüben.
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Quelle: Die Strategie Wladimir Putins: „Das Ziel ist nah!“ – Contra Magazin